Wittenberg zu Beginn des 16. Jahrhunderts: Die Musikerinnen und Musiker der Hofkapelle treffen sich im Schloss, um mit dem Kurfürsten die tägliche Messe zu feiern. Heute soll Musik vom Hofkapellmeister Adam Rener erklingen. Die Mitwirkenden spielen sich ein, auf ihren Pulten liegen die Noten für die Abendmesse. Beim Musizieren vergeht ihnen die Zeit schnell, doch auf den Kurfürsten warten sie vergeblich. Ist er bei seiner Geliebten? Übt er mit ihr die Schrittfolgen für den Tanzball im Schloss, über den man sich seit Wochen am Hof erzählt? Oder lässt er sich vom neuen Hofkoch mit dessen ungewöhnlichen Rezepten verwöhnen? Erst gestern wurden Gänse in die Hofküche gebracht, durch halb Wittenberg war ihr Geschnatter zu hören…
Nun, wenn der Kurfürst nicht kommt, dann spielen die Musikerinnen und Musiker halt weltliche Musik! Der junge Conrad Rupsch hat ganz zufällig ein frisch gedrucktes Liederbuch von Georg Forster dabei, einem Freund Martin Luthers. Bei dieser Gelegenheit können sie gleich auch die Tänze für Luthers Hochzeit mit Katharina von Bora einstudieren. Apropos, wie wäre es denn mit den neuesten Stücken von Paul Hofhaimer, Arnt von Aich, Ludwig Senfl und Orlando di Lasso? Und weil der Kurfürst noch immer auf sich warten lässt, bitten die Mitglieder der Hofkapelle kurzerhand ihr Publikum zum Tanz. Ein illustrer Abend mit ungewissem Ausgang nimmt seinen Lauf…
Der Lautenist Thomas Höhne und die Gambistin Gesine Friedrich gründeten das Ensemble 2002 mit dem Ziel, die Musiktraditionen des 15. bis 17. Jahrhunderts zu pflegen. Ganz dem Bestreben verpflichtet, das Repertoire der Wittenberger Hofkapelle des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Weisen wiederzubeleben, greifen die Musikerinnen und Musiker auf die handschriftlich fixierten Notationen der einstigen Wittenberger Hofkapelle zurück, die in der Thüringer Landes- und Universitätsbibliothek aufbewahrt werden. Diese Noten geben einen detaillierten Einblick in die vorreformatorische Musik bis zur Wirkungszeit Martin Luthers. Auch die Wittenberger Drucke und musiktheoretische Abhandlungen von Martin Agricola und Hermann Finck dienen dem Ensemble bei der Annäherung an einen möglichst authentischen Klang. Darüber hinaus führt die Hofkapelle, die sich seit ihrer Gründung als wandelbarer und flexibler Klangkörper behauptet, auch Werke frühbarocker Meister wie Heinrich Schütz und Claudio Monteverdi auf und tritt mit szenischen Projekten in Erscheinung. In seinen Programmen verbindet das Ensemble die Renaissancemusik der mit zeitgenössischen Musikstilen wie Pop, Jazz und Filmmusik und ergänzt sie mit Musik aus der spanischen Renaissance und mit Flamenco. Irische Musik und Kompositionen aus der Zeit um 1800 ergänzen das Portfolio. Die Wittenberger Hofkapelle musiziert ausschließlich auf historischen Instrumenten und widmet sich seit ihrer Gründung mit großem Engagement der musikalischen Ausbildung von Kindern und Jugendlichen.
Zum 500. Reformationsjubiläum 2017 erschien die CD »Ein feste Burg ist unser Gott« mit geistlichen Liedern der Reformationszeit.
Seit 2006 richtet die Wittenberger Hofkapelle das jährliche Wittenberger Renaissance Musikfestival aus.
Die aus Bayern stammende Sopranistin Julla von Landsberg studierte zunächst am Richard-Strauss-Konservatorium München. Später bildete sie sich am Institut für Alte Musik an der Staatlichen Hochschule für Musik in Trossingen fort, wo sie 2004 mit Studienkollegen das Ensemble Santenay für Musik des Mittelalters gründete. Ihre Studien schloss Julla von Landsberg 2009 an der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig ab.
Julla von Landsbergs Repertoire erstreckt sich von früher Monodie bis hin zu zeitgenössischer Improvisation. Ihr besonderes Interesse gilt der Alten Musik, der Musik des Mittelalters, der Renaissance und des Barock und dem frühen klassischen Liedgut. Liederabende, Kammerkonzerte, Oratorien- und Opernengagements führten sie durch ganz Europa. Als Performerin im zeitgenössischen Musiktheater stand sie über viele Jahre mit Nico and the Navigators auf der Bühne. Ihre am meisten inspirierenden Momente findet Julla von Landsberg in der Interpretation vergessener und selten gehörter Musik, etwa aus der Barockzeit und – mit ihrem Ensemble Santenay – aus der bizarr-sinnlichen Welt des Mittelalters.
»Mich fasziniert die emotionale Kraft von Musik. Sie bewegt direkt, auch ohne Worte, jedes Herz, und es ist mir das schönste Geschenk, Musik mitzugestalten. In einer Situation von großer Offenheit und Spontaneität teilen Publikum und Musizierende eine gemeinsame, ungreifbare und nur im Moment erlebbare Erfahrung«, sagt die Sängerin.
Die Musikerin und Pferdewirtin lebt in der Nähe von Torgau in Sachsen und betreibt mit ihrem Lebenspartner einen Bauernhof mit vom Aussterben bedrohten Nutztierrassen.